Matthiessen, Prof. Dr. Peter F.
Vita
• geb.1944
• Facharzt für Neurologie, Psychiatrie u. Psychotherapie
• Medizinstudium in Marburg
• Wissenschaftlicher Mitarbeiter Anatomisches Institut I Universität
Marburg
• Weiterbildung zum Facharzt in Herdecke und Dortmund
• 1980 bis 1983 Oberarzt ... [mehr]
• geb.1944
• Facharzt für Neurologie, Psychiatrie u. Psychotherapie
• Medizinstudium in Marburg
• Wissenschaftlicher Mitarbeiter Anatomisches Institut I Universität
Marburg
• Weiterbildung zum Facharzt in Herdecke und Dortmund
• 1980 bis 1983 Oberarzt ... [mehr]
Einzelfallforschung zwischen Evidence based Medicine und Narrative based Medicine Einzelfallforsch. zwischen Evidence- und Narrative based Medicine
Kongress: 11. Internationaler Coethener Erfahrungsaustausch 45 min, deutsch Inhalt / abstract Abstract Ärztliches Erkennen bewegt sich im Spannungsfeld zwischen allgemeiner Krankheitslehre und individueller Krankheitssituation. Ausgangspunkt aller medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis ist dabei der Einzelfall; und der Endpunkt ärztlichen Handelns ist wiederum der Einzelfall. Vom „Fall“ aus, von kasuistischer Forschung also, nimmt nomothetisch ausgerichtete Forschung ihren Weg zur Suche allgemeiner Regeln. Dabei hat sich die induktive Erkenntnismethode des statistischen Schließens und ihre Anwendung im Rahmen klinischer Studien als weitgehend monopolisierte Form der Evaluation der therapeutischen Wirksamkeit etabliert. Als Königsweg von Studien zur therapeutischen Wirksamkeit gilt das randomisierte Therapieexperiment, der Randomized Controlled Trial (RCT). Dieser Ansatz ist eng mit der sogenannten Evidenzbasierten Medizin (EbM) verwandt. Ein wesentlicher Fortschritt liegt hier in dem Bestreben, nicht nur die Frage nach der internen Validität von Studienergebnissen, d. h. die Frage nach der Aussagekraft der erzielten Studienresultate für eine konkrete Problemstellung in der ärztlichen Praxis thematisch zu verfolgen. Unter dem Augenmerk auf die Frage: „Sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie für meinen Patienten überhaupt relevant?“ hat sich die ehemalige Dominanz der klinischen Forschung zur therapeutischen Wirksamkeit unter hoch artifiziellen Bedingungen relativiert zugunsten einer auf den Nutzen für den Patienten im therapeutischen Alltag fokussierenden Versorgungsforschung. Dennoch gilt für diese Forschungsrichtung, dass sie an Patientenkollektiven gewonnen wird und ihre Wirksamkeitsaussagen sich auf signifikante Unterschiede zwischen den Mittelwerten von Kollektiven beziehen. Neben zahlreichen systemimmanenten Verzerrungs- und Irrtumsmöglichkeiten, auf die in Form einer Übersicht eingegangen wird, ist ein zentraler Schwachpunkt dieser Methodik, dass sie bezüglich der Übertragung der Studienergebnisse auf einen konkreten, individuellen Patienten über keine Rationalität verfügt. Das im Rahmen von EbM verfolgte Bestreben, die ärztliche Irrtumsanfälligkeit durch quantitative Irrtumswahrscheinlichkeiten zu ersetzen, hat sich seinerseits als irrtumsanfällig erwiesen. Formalisierungsbestrebungen bei der Gewinnung, Verarbeitung und Bewertung von Daten ersetzen aber nicht das Urteil über den Wahrheitsgehalt einer Datenlage durch einen erfahrenen Arzt und Methodiker. Als Gegengewicht zu einer einseitig biomedizinisch und quantitativstatistisch ausgerichteten Medizin wird seit einiger Zeit, insbesondere von niedergelassenen Ärzten, gefordert, die Einseitigkeit von EbM durch eine Narrative based Medicine auszutarieren. Hier handelt es sich um einen Ansatz, bei dem Narrationen, also verbale Erzählsegmente, von Patienten, aber auch von Angehörigen, Ärzten etc., als Datengrundlage dienen und mit hermeneutischen Methoden gedeutet und bewertet werden. Insofern der Patient nicht nur ein biomedizinisch zugängliches Objekt ist, sondern stets auch ein geschichtlich sich darlebendes Subjekt, stellt sich die Aufgabe, im Hinblick auf die Beforschung von Erkrankungsund Gesundungsprozessen eine zählende durch eine erzählende Methodik zu ergänzen. Das darf freilich nicht bedeuten, biomedizinisch gewonnene Beobachtungen und Schlussfolgerungen durch phantasievolle Narrationen zu romantisieren. Die ergänzende Verfolgung einer narrativen Kultur kann aber, indem sie den stets interpretativen und wertenden Charakter diagnostischer Aussagen hervorhebt, die grundsätzliche Kontext-, Standort- und Perspektivengebundenheit unseres Erkennens verdeutlichen, demzufolge Objektivierung gerade nicht Ausschluss, sondern methodische Einbeziehung der Subjektbezogenheit all unseres Wahrnehmens und Erkennens bedeutet. Obwohl der Gestaltbegriff im etablierten Wissenschaftsbegriff derzeit marginalisiert ist, charakterisiert sich die ärztliche Erkenntnisbildung dadurch, dass sie in Wahrnehmen und Denken gestalthaft, taxonomisch ist, was an Beispielen aufgezeigt wird. Für eine Medizin, deren Anliegen es ist, den Menschen in seiner Vieldimensionalität in Gesundheit und Krankheit in den Blick zu nehmen, wie dies insbesondere bei der Anthroposophischen Medizin und der Homöopathie der Fall ist, und die insofern bestrebt ist, das Augenmerk über allgemeine medizinische Merkmale hinaus auf die Personalität und Individualität eines konkreten Menschen zu richten, der in Gesundheit und Krankheit um die Verwirklichung seiner Lebensgeschichte ringt, stellt sich die Aufgabe, dem gegenwärtigen Trend einer Flucht in die große Zahl die Einzelfallforschung entgegenzustellen in Form akribischer, prospektiv dokumentierter Einzelfallanalysen. Was in der Praxis durch den erfahrenen Arzt – aber in der Regel implizit – geleistet wird, sollte im Rahmen von aussagekräftigen, investigativen Kasuistiken auf ein höheres und | ||
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